Die Initialzündung war das Heimatfest im vergangenen Jahr: Die Fotoausstellung im CKK zog zahlreiche Besucherinnen und Besucher an, viele Bürgerinnen und Bürger stellten dafür Bilder aus ihrem privaten Fundus bereit. „Da war uns klar: Es gibt vermutlich noch viel mehr Aufnahmen von Rülzheim aus vergangenen Jahrzehnten. Gleichzeitig sterben viele der Menschen, die die Fotos und Filme zuordnen können, nach und nach. Wir wollten diese einzigartigen Dokumente der Zeitgeschichte aber unbedingt retten“, erklärt Manfred Wolff.
Gemeinsam mit dem ehemaligen Beigeordneten der Verbandsgemeinde, Günter Dreyer, war er beim Heimatfest im Team „Werbung“ engagiert. Schnell waren sie sich einig, dass man die Arbeit fortsetzen wolle. Mit Regina Antoni, die das Erzählcafé leitete, und Ahnenforscherin Roswitha Kramny fanden sie zwei weitere engagierte Mitstreiterinnen und hoben den „Arbeitskreis Historisches Rülzheim“ aus der Taufe. Ihr Ziel ist es, „mit einem besonderen Fokus auf die Sicherung und Digitalisierung historischer Materialien dazu beizutragen, das kulturelle Erbe unserer Gemeinde zu erhalten.“
Der Arbeitskreis ist keine Einrichtung der Kulturgemeinde, sondern der Ortsgemeinde zugeordnet. Ortsbürgermeister Michael Braun freut sich über „die wertvolle Arbeit, die hier getan wird. Unsere Vergangenheit zu bewahren und möglichst viel davon einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist eine großartige Sache, die wir gerne unterstützen.“
Dazu gehört die Sammlung, Archivierung und Digitalisierung von Schriftstücken, Bildern, Dokumenten, Urkunden und Postkarten ebenso wie die Bewahrung von landwirtschaftlichen und handwerklichen Gerätschaften aus der Vergangenheit. Ein zweiter Fokus liegt auf Interviews mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern, um deren Geschichten in anekdotischer Form zu dokumentieren. Die Ergebnisse der Bemühungen des Arbeitskreises sollen nach und nach der Öffentlichkeit verfügbar gemacht werden.
Die Vierergruppe trifft sich jeden letzten Montag im Monat um 18 Uhr im Obergeschoss des CKK zu ihren Sitzungen. Dabei gleichen sie Ergebnisse ab, sichten neu eingegangenes Material und verteilen Aufgaben zur Recherche oder gegenchecken Informationen mit der Ortschronik. Sie freuen sich über zusätzliche Unterstützung, denn: „Je mehr helfen, desto schneller können wir Ergebnisse zeigen“, erklärt Dreyer. Gesucht wird insbesondere jemand, der bei Nachforschungen in den französischen Archiven unterstützen kann.
Neues Material wird ebenfalls gerne entgegengenommen – auch unsortiert in Kisten. „Besser als es nach einem Todesfall einfach wegzuwerfen“, sagt Antoni. Das Material werde nach der Erfassung natürlich zurückgegeben. Sie wurde beim Erzählcafé, wo sich Jung und Alt in lockerer Atmosphäre austauschten, in Erinnerungen schwelgten und Fotoalben zeigten, darauf aufmerksam, wie viel Potential in solchen Zusammenkünften schlummert.
Das sieht auch Kramny so, die seit Oktober letzten Jahres elf Interviews mit älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern geführt hat. Dabei ging es um Kindheitserinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegszeit und auch ganz persönliche Erfahrungen. Darüber hinaus bergen auch alte Aufzeichnungen interessante Geschichten, wie etwa die einer Gemeinderatssitzung, als ein mehrfach straffälliger Bürger mit 50 Gulden dazu überredet wurde, nach Amerika überzusiedeln – eine kreative Methode der Kriminalitätsbekämpfung.
Bereits digitalisiert sind die ursprünglichen Heimatbriefe der Ortsgemeinde vor Gründung der Verbandsgemeinde von 1963 bis 1973. „Das war noch ein ganz anderes Blatt, auf Hochglanzpapier. Allein die Anzeigen darin sind schon ein historischer Schatz an sich“, sagt Wolff. Die Anzeigen und Heimatbriefe selbst helfen auch beim aktuellen Großprojekt: Die Verwandlung der Mittleren Ortsstraße damals und heute. Dafür hat Wolff eigenhändig alle Häuser auf der Straße fotografiert. Die Arbeitsgruppe stellt sie nach und nach historischen Aufnahmen gegenüber – einschließlich Information, wer zum damaligen Zeitpunkt wo wohnte, wo sich Gaststätten und Geschäfte befanden, in welchen Häusern vor der Nazizeit Juden wohnten, und, und, und.
Aufgrund der schieren Dimension der Aufgabe arbeitet er sich Schritt für Schritt vor, derzeit vom Ortseingang Richtung Hördt bis zur Ampel. Die Ergebnisse sollen bei einer Führung durch die Mittlere Ortsstraße präsentiert werden, im Anschluss ist eine Neuauflage des Erzählcafés angedacht.
Ein weiteres Großprojekt ist die Aufklärung der Herkunft einer gusseisernen Gedenktafel zum 700-jährigen Jubiläum des bayrischen Königsgeschlechts der Wittelsbacher, das auch die Pfalz regierte. Sie tauchte bei Entrümpelungsarbeiten im Bürgerkeller des Rathauses auf, wurde aufwendig restauriert und wird derzeit in einem Schaukasten hinter dem CKK ausgestellt. Es gibt weitere solcher Tafeln in der Pfalz, unter anderem in Zeiskam und Rhodt unter Rietburg. Woher das Rülzheimer Exemplar kommt und wo es ursprünglich ausgestellt wurde, ist unbekannt. Der Arbeitskreis sucht nach Menschen, die Auskunft geben können und vernetzt sich auch mit Arbeitsgruppen in der Region.
Alles in allem haben die vier Ehrenamtlichen also viel Arbeit vor sich, die sie mit großer Akribie und Leidenschaft angehen. Sie freuen sich, nach und nach die Ergebnisse ihrer Recherchen präsentieren zu können. „Wer uns unterstützen möchte, darf jederzeit gerne zu einem unserer Treffen vorbeikommen. Wir freuen uns über jede helfende Hand“, so Dreyer.
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Treffen des Arbeitskreises Historisches Rülzheim: jeden letzten Montag im Monat, 18 Uhr, OG des CKK (Kuntzengasse)
Wer Bild- oder Videomaterial abgeben oder bei der Gruppe mitmachen möchte: Regina Antoni, Tel. 07272 76367